BLEIBEN ODER GEHEN (2015)
Das nachfolgende Review schrieb ich, als ich die Platte etwa 5x gehört hatte. Das hat gerade mal gereicht, dass die Songs vom Ohr in den Kopf gelangen konnten und ich schrieb drauf los. Nun ist eine weitere Woche vergangen und nach weiteren 5x Hören, ist der Stoff weiter durchgerutscht bis ins Herz. Und dort gehört er auch hin, wie mir scheint. Wenn du die Emotionen zulässt, die dort verhandelt werden, ist es eine tolle Platte. Dann höre ich auch plötzlich die vielen Anliegen, die da drin stecken. In dem folgenden Review habe ich die einzelnen Lieder oft nur viel zu kurz kommentiert. Das wird ihnen nicht gerecht. Songs wie WARTEN AUF DAS MEER und FÜR DIESE EINE NACHT beispielsweise sind Herzensangelegenheiten. Wenn du anfängst, die zu "analysieren", geht das an dem vorbei, was die Stücke sind, nämlich Stücke, in denen Erlebtes verarbeitet wird. Und eben nicht "inhaltliche Beiträge". Und so muß ich zwar nichts zurücknehmen von dem, was ich geschrieben habe, es ist aber hiermit besser eingebettet und ergänzt, so hoffe ich. All das vergessene Lob, was ich nun noch nachzutragen hätte, sei hiermit ausgesprochen. Und Respekt vor der ganzen Arbeit und Mühe, die eh in so einem Album drinsteckt. Mein Urteil ist durchaus sehr positiv nun, und dass, obwohl die Songs eher für ein Klientel geschrieben wurden, die im Schnitt halb so alt sind wie ich. Gratulation!
44 Minuten neuer Stoff von der (laut Verfassungsschutz) brandgefährlichen Kapelle aus dem hohen Nord-Osten. Dazu haben sie gleich 2 hochprofessionelle Videos produziert (FÜR DIESE EINE NACHT und ICH GLAUBE DIR) und ins Netz gestellt. Überhaupt läuft die Promotion-Maschine auf vollen Touren und…mit Erfolg. Die Band selbst feiert ihre neue Platte mit über 20 Auftritten, die sie nun in drei Monaten mal schnell wegrocken. Über mangelnden Zuspruch können sie sich sicher nicht beschweren. Die Läden, in denen sie spielen sind mittlerweile groß und meist rappelvoll. Und wenn das alles so dermaßen durch die Decke geht, sollte die neue Platte die verbliebenen Wände drum herum locker wegpusten können. Ich war gespannt, als ich die CD zum ersten Mal während einer Taxischicht einwarf. Was mir dabei erstmal NICHT entgegensprang, war ein sogenanntes Punkrockbrett. Die meisten Songs sind midtempomäßig angelegt, textlich bestens zu verstehen und leider wenig angriffslustig. Nach’m fünften Mal Hören muss ich aber schon erste gelungene Formulierungen und prägnante Zeilen mitsingen. Gerade die chorusartigen Refrains bleiben eine Stärke der Band. Aber was wird da inhaltlich verhandelt? Im ersten Song (FÜR DIESE EINE NACHT) eher wenig. Also inhaltlich wenig. Emotional wird bei FSF viel verhandelt. Und darüber funktioniert auch alles. Beim zweiten Stück haben sie mich auf eine falsche Fährte geschickt…Der Text beginnt mit „leere Gesichter, viele Fragen, niemand, der ihnen Antwort gibt…“. Da bin ich assoziativ sofort bei den meisten Menschen, die hier leben und Sinn suchen und die Melancholie der Musik unterstützt das. Feine Sahne besingen aber Bullen, die mal wieder im Einsatz sind. Das krieg ich schwer zusammen. Der Refrain erzählt davon, dass der Hass (gesungen: „Haaaaass“,…hä?) steigt, die Wut treibt und die Herzen brennen. Okay,…ist so, war immer schon so, überrascht mich nicht. Das ist mir alles ein Happen zu banal und die Lyrics von WAVING THE GUNS, die hier auch ihren Platz finden, überzeugen mich nur in Teilen. Ganz hübsch und gelungen: „Ihr verprügelt eure Kinder als wären es eure Eigenen“.
Beim dritten Song kommt mir das erste Mal etwas bekannt vor. Und ich weiß auch direkt, was es ist: „Ich habe Angst, mich selber zu verlier’n…“ heißt es da. Auf ihrer letzten Platte SCHEITERN UND VERSTEHEN hiess es in „DIENSTAG NACHT“ noch: „Manchmal ist es das Beste, sich selbst zu verlieren…“. Na watt denn nu, Jungs?!
In LASS UNS GEHEN, der wie so manches auf dieser Platte erstmal von einer akustischen Gitarre eingeleitet wird, schimmert einmal mehr der rote Faden durch. Die Frage danach, wo wir (die Band?!) steht, wo wir hinwollen. Gefällt mir musikalisch gut. Die Bläser schießen ein paar graue Wolken in den Sound, bevor dann die taffe Basslinie den Gesang würdig begleitet. Ein Break sorgt bei mir allerdings für Verwirrung. Ich nenne den „Punkbreak“ und es ist ein Klassiker, aber hier klingt der so einstudiert und lahm…Ich kann‘s nicht erklären. Von Slime gab es mal einen Song, der verhandelte Ähnliches. Wenn ihr reinhören wollt:
Bei FSF ist am Ende noch ein Tambourine zu hören und der Schlagzeuger trommelt sich nochmal gekonnt den Wolf. Danach kommt dann ACHTUNDVIERZIG KNOTEN. Wieder so ein Text, wo sich alles um die eigenen Befindlichkeiten dreht. Voll von Zweifeln und traurigen Gefühlen. Mir laufen Sätze wie „…deine Tränen sind Folklore…“ nicht gut rein. Ich weiß da nix mit anzufangen. Ganz anders geht es mir mit einem Satz aus WARTEN AUF DAS MEER. Da heißt es „…du warst so oft für mich da, jetzt bin ich für dich hier…“ Und wie diese Zeile vermuten lässt, geht es auch hier um große Emotionen. Die Band hat das als Ballade gebastelt. Ich mag den Song. Ich hätte es geil gefunden, wenn sie es in diesem Fall mal mit einer Westerngitarre probiert hätten. Die unverzerrte E-Gitarre transportiert einfach ein anderes Gefühl, aber das ist natürlich Geschmackssache. Mit diesem Song endet die A-Seite der Platte.
Die B-Seite beginnt mit ICH GLAUBE DIR. „…und wir nichts mehr verstehen…“ heißt es hier schon wieder. Auf der ersten Seite hörte ich schon „…all das müssen wir hier gar nicht mehr verstehen…“. Konsequenter roter Faden diese Unsicherheit, diese Unklarheit im eigenen Standing. Bleiben, gehen, Zweifel, nicht verstehen. Okay, dann kommt ein Titel, der mal was Politisches verspricht: SOLANGE ES BRENNT. Aber wer nun denkt, dass es vielleicht um angegriffene Flüchtlingslager oder verwandtes geht, wird enttäuscht. Es bleibt bei einer starken Symbolik. Es bleibt im Dunkeln, was genau gemeint ist. Wieder nur die eigenen Gefühle, die beschrieben werden. Das muss nicht schlecht sein. Der Song „funktioniert“ gut, aber je öfter ich ihn höre, desto skeptischer werde ich. Wieder so’n Ding, in das du dich reinlegen kannst. Mitsingen und wohlfühlen, das geht bestens! Aber was singen die da?! Ist vielleicht unfair, den Text jetzt so genau unter die Lupe zu nehmen, aber ich sage mal ganz schlicht: Wer Ketten bildet, (solange es brennt), kann sich nicht am Löschen beteiligen. Und wenn ich das hier so in das Review hinein philosophiere, dann merke ich plötzlich, dass es vielleicht diese unverbindliche Haltung ist, die das Publikum so massenhaft gut annehmen kann und die dazu führt, dass FSF auf einer relativ breiten Ebene Zuspruch finden. Das kritisieren sie ja auf ihren Konzerten auch selbst immer wieder, wenn beispielsweise massiv „Alerta, alerta, antifascista“ gerufen wird, kommt meist von Monchi postwendend der Hinweis, dass das verdammt nochmal draußen stattfinden sollte.
Im übernächsten Track auf der Platte gibt es dann aber auch mal klare Worte zum Thema NSU, Nazis und Staat, gepaart mit treibender wütender Musik. Das tut gut. Solche Schlagworte sind ansonsten auf dem kompletten Album kaum zu finden. Muss auch nicht. Warum finde ich fast alles, was Jens Rachut gemacht hat, kuhl?! Nicht etwa, weil er ständig was vom Scheiß-System, Faschisten, dem Kapitalismus etc. singt (das macht er nämlich genau nicht), sondern weil es da eine andere Sprache gibt hinter dieser Anti-Haltung und eine Attitüde, die ich sehen kann, weil er sie lebt und die darüber hinaus in sich sowas von Punk ist. Und ein bisschen ist es auch so bei FSF. Das ist ja nun keine Modekapelle oder so. Die haben sich durch sämtliche kleine Clubs gespielt, wo oft genug damit zu rechnen war, dass es Ärger mit Faschos oder Nazis gibt. Und sie tun es manchmal immer noch. Und mit Sicherheit ist es ihnen auch zu billig, jeden Song dieser antifaschistischen Grundhaltung explizit zu widmen. Dennoch schimmert die durch und das haben sie sich erarbeitet. Dann kannst du auch schon mal einen Popsong spielen und das ist okay. Aber zurück zum Album. Der Song, den ich übersprungen habe, heißt ES BLEIBT BEIM ALTEN. Wir hatten mal einen, der hiess ALLES WIRD BLEIBEN WIE BISHER (übrigens auch’ne schöne Ska-Nummer) und der sagt das Gleiche. Auch hier mal ein direkterer Bezug auf das, was passiert („…die Behörden aufgebracht, zuviele Fremde hier im Land…“) Am Ende schält sich ein Kinderchor heraus, der den Refrain singt…das erinnert mich krass an so manchen Song von Oma Hans und Dackelblut, die oft mit so Chören gearbeitet haben. Allerdings waren es da meist Frauenstimmen und keine Kinder…Egal, nette Variante!
Dann geht es in die Schlußkurve. Es kommt was ganz ruhiges und der Track heißt auch RUHE. Wieder wünschte ich, sie hätten mal eine Westerngitarre in die Hand genommen, aber ist auch so sehr gelungen. Unverzerrte E-Gitarre und schöne Trompete mit Blechdämpfer. Der Gesang erzählt davon, dass du auf dich selbst achten solltest, wenn du Aktivist_in bist. Hier ist deutlich zu erkennen, dass einige aus der Band zu bestimmten Zeiten in ihrem Leben viel FRÜCHTE DES ZORNS gehört haben. Was mir dabei sehr gut gefällt, ist, dass die Trompete exakt da einsetzt, wo der Text singt: „…wenn du am Ende nicht mehr lachst…“ Der Sound der Trompete ist an dieser Stelle eine Mischung aus Melancholie und „Zirkusmanegenlachen“…Ich schätze mal, dass das beim Einspielen gar nicht so bewusst passiert ist. Ist aber „künstlerisch“ ein echtes Glanzlicht. Dafür habe ich aber auch was zu meckern. Im Refrain gibt es einen Satz, der heißt „…wenn du das genießen verlernst…“ Das finde ich handwerklich nicht sonderlich gut, weil „DAS GENIESSEN“ den Sprachrhythmus und damit die Ruhe in dem Stück leider komplett zerkloppt. Das finde ich richtig schade, weil es mit ein paar gezielten Handgriffen hätte behoben werden können…Das hätte ich gerne gemacht, aber mich fragt ja keine/r ;(
Okay, und dann rollt der letzte Track mit dem schönen Titel AM ENDE. Für mich der beste Song auf dem Album. Da stimmt vieles: Der Ausdruck im Gesang (sehr hübsch wie das „Was denn, was denn?!“ anfangs rüberkommt), die Kompaktheit der Musik, die Tanzbarkeit, die Emotion, und ein gutes knappes Songwriting mit den großartigen Zeilen AM ENDE GEHT ALLES – ALLES KAPUTT! AUFGEBROCHENES PFLASTER, AUFGEBROCHENES GLÜCK! Da sing ich doch gerne mit!
Diese Scheibe ist ein Beleg dafür, wo die Band gerade steht. Eine Stufe auf ihrem Weg. Eine Seite in ihrem Tagebuch. Es ist in den letzten 2 – 3 Jahren viel Anerkennung und Popularität dazugekommen. Das muss verarbeitet werden und die Band wird einen Umgang damit finden müssen. Der Verfassungsschutz Mecklenburg Vorpommern sollte spätestens nach diesem Album erkennen, dass hier eigentlich nichts Ungewöhnliches stattfindet. Dass FSF „explizit antistaatlich“ eingestellt sind,…geschenkt. Es gibt hunderte von Bands in der BRD, die krassere und direktere Texte haben. Wenn ich daran denke, was dem Verfassungsschutz und den Indizierungskontrolleuren im Laufe der letzten 30 Jahre alleine bei meinem subversiven öffentlichen Schaffen an Texten durch die Lappen gegangen sein muss, wird mir klar, wie „unverhältnismäßig“ die Beobachtung von FSF eigentlich ist. Aber es wird dadurch auch deutlich, dass „Gefährdungsrelevanz“ offenbar etwas mit dem Bekanntheitsgrad zu tun hat. Das bedeutet nichts anderes, als dass es die entsprechenden Behörden für bedenklich halten, wenn ein klares antifaschistisches und emanzipatorisches Gedankengut so ungefiltert und massenhaft nach außen dringt. Und wenn das so ist, sind Feine Sahne Hirschfilet (!) auf dem richtigen Weg (und ich sollte vielleicht gleichzeitig mal an meiner Popularität arbeiten…).
Noch ein paar Worte zu dem Artwork der Platte. Alles sehr „ansprechend“ und „schön“. Die Bilder in Hochglanz, das gemalte Layout mit warmen Farben und künstlerisch toll. Das Digipack mit dem Pappschober wirklich schick. Die Beilage der Platte fühlt sich an wie ein kleiner Ikea-Katalog…
„Sehr ansprechend“ ist aber erstmal kein Punk…Es ist schon zu sehen, dass hier nicht mit Geld gespart werden musste. Ich schwanke zwischen „gefällt mir“ und „sorry, falsche Liga!“.
Punk und Subversivität heißt für mich auch immer Reibung und Provokation. Das vermisse ich hier. Kann aber alles auch wiederkommen. Der Weg ist noch lang!
(Yok 10.2.2015)