POCKETPUNK

YOK über politischen Widerstand, Punk, Sexismus u.v.m.

(Interview von 2008/2009, erschienen im plastic bomb)

ATAKEKS: Vor vielen vielen Jahren – die kapitalistische BRD hatte die von dauerhaftem Bananen- und Pornomangel zerrüttete DDR bereits in einem Stück geschluckt, aber gerade erst damit begonnen den dicken grauen Brocken zu verdauen- schenkte mir ein vor dem Wehrdienst geflüchteter Wahlberliner ein Tape, dessen zweiter Song, eine sehr eigenwillige Bearbeitung von „London´s burning“, mir monatelang nicht mehr aus dem Ohr gegangen ist. Aus dem frustriert-zornigen und hoffentlich bekannten THE CLASH-Titel hatte irgend so ein, vermutlich häufig vermummter Chaot das fröhlich-wütende „Q-damm´s burning“ gemacht. Das klang ein bisschen gefährlich, ein bisschen verwegen und außerdem nach einer Menge Spaß (also nach der Sorte Spaß, die auch zerstörungswütigen kleinen Punx gefällt). Nachdem ich es etwa zehn bis fünfzehn Mal gehört hatte und schließlich dem Rest der Kassette auch noch eine Chance gab, stellte ich erfreut fest, dass die übrigen Songs nicht schlechter waren. Es ging um Hausbestzungen und Räumungen, Nazis und was man dagegen tun kann, Piraten, Penguine und eine gewisse Liselotte Meyer aus der Rosenstraße 8 und das Besondere war, der Mann, der all diese Lieder mit so viel Hingabe „sang“, war ganz allein, spielte, anstelle einer HANNES WADER-Klampfe, die man hier hätte erwarten können, ein Akkordeon und hatte trotzdem mehr Energie als so manche HC-Band. Nach und nach kam ich in den Besitz von vier weiteren Tapes und meine Genossen und ich hörten sie bis sie irgendwann auseinander fielen oder in diesem großen See aus Bier, Wein und Schnaps verschwanden, auf dessen Grund auch geschätzte 80% unserer Jugend liegen. Dennoch habe ich QUETSCHENPAUA leider nie live gesehen (daran würde ich mich erinnern!). Erst als der gute YOK ein, zwei Jahre nach dem vorläufigen Ende seiner Solo-Karriere Mitte der 90-er als Teil von TOD UND MORDSCHLAG wieder auf den Bühnen diverser AZs auftauchte und dort vorführte wie man TON STEINE SCHERBEN recht druckvoll in die Gegenwart übertragen kann (ohne dabei zu einer Kopie zu werden), liefen wir uns über den Weg und er und seine Bandkollegen wurden die Ersten, mit denen ich für dieses halbvegane Polit-Trinker-Kampfblatt ein Interview führte. 1999 war dann aber auch schon wieder Schluss mit autonomem Ska-Punk-Liedermacher-Quetschen-Rock, jedenfalls in dieser Besetzung, und das Ende wurde im Berliner Supamolly würdig gefeiert. YOK fand neue Leute und beteiligte sich u. a. an der bis heute bestehenden Musik-Theater-Gruppe REVOLTE SPRINGEN!, brachte aber im Lauf der Jahre auch wieder einige Solo-Sachen raus, mal als NEW YOK, mal als OLD YOK, und irgendwie blieb man, allen, zum Teil sehr unterschiedlichen Ansichten zum Trotze, in Verbindung. So durfte ich mich dann vor einigen Wochen auch über ein hübsch dickes Brieflein freuen, dass im Wesentlichen sein jüngstes Werk enthielt und das mich einen ansonsten wirklich miesen Duisburger Scheiß-Tag für eine Weile vor die Tür stellen ließ. „Quetschenpunk/ Ukulelenpaua“, so der durchaus zutreffende Titel des liebevoll gestalteten Digipacks, enthält eine CD mit 19 neuen Solo-Stücken und 3 Bonustracks von TOD UND MORDSCHLAG, REVOLTE SPRINGEN! und OPTION WEG, YOKs neuem Bandprojekt. Darüber hinaus gibt´s eine qualitativ hochwertige DVD mit (u.a.) einer Doku über Yoks musikalische Laufbahn, in der natürlich auch etliche Auftritte zu sehen sind, und einem recht ausführlichen Interview. Da Letzteres allerdings noch einige Fragen mehr aufgeworfen hat, als dort schlussendlich beantwortet wurden, und die letzte „öffentliche Unterhaltung“, um´s mal so zu nennen, auch schon wieder etliche Jahre zurück lag, schien es mir an der Zeit den Genossen erneut mit meiner defizitären Wahrnehmung seiner Lieder und Aussagen zu konfrontieren. Dabei wurden dann auch einige Themen diskutiert, die in der hier vorgegebenen Kürze keinesfalls erschöpfend behandelt werden können und für die es auch keine einfachen Antworten bzw. Lösungen gibt. Folglich seid Ihr noch mehr als sonst herzlich eingeladen Kommentare, Ergänzungen, Hinweise und wüste Beschimpfungen direkt an atakeks@plastic-bomb.de zu schicken. Getreu dem Motto: Eine Bewegung, 1000 Meinungen. Oder umgekehrt. Bevor ich das vergesse: Zur Musik sei noch gesagt, dass die Ukulele dem Ganzen wirklich gut tut und der Sound diesmal auf angenehme Weise an all die frischen Lo-fi-Folk-Punk-Bands aus Amiland erinnert (wie z.B. THIS BIKE IS A PIPEBOMB, GHOST MICE, DEFIANCE OHIO usw.), wobei auch YOKs Schwäche für Gipsy-Punk a la GOGOL BORDELLO und Genossen ohne Weiteres zu erkennen ist. Ansonsten gibt´s hier wie eh und je von Vielem ne Menge: Ein gut nach vorne gehendes „Drinnen und draußen“, ein zuckersüßes „Verwertungsscheiß“ und ein genauso hübsches „Moment mal“, aber auch ein ziemlich nachdenkliches, eher gesprochenes „Menschen machen Menschen kaputt“. Abschiebungen, Nationalismus, Hunger und Krieg sind und bleiben in unterschiedlicher Weise behandelte Themen und daneben oder auch zugleich wird über die eigene (politische) Geschichte reflektiert, die Möglichkeiten und den Sinn. Nichtsdestotrotz ist auch diese CD nicht gar zu ernst geworden, denn was früher die Penguine sind jetzt Fische, Frösche und „Fetzenfliegen“ und, auch dies so selten wie wohltuend, der kritische Blick spart den Künstler nicht aus. Viel Spaß also mit „Quetschenpunk/ Ukulelenpaua“ und vielleicht auch dem nun folgenden Interview.

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ATAKEKS: Du hast diesmal tatsächlich ein wirklich schönes Cover für Deine CD/DVD gewählt. Was hat Dir daran gefallen, warum gerade das?

Yok: Das Foto habe ich auf einem Spaziergang mit einer guten Freundin in Berlin gemacht, an einem Tag, wo sich das Wetter nicht entscheiden wollte, wie es werden will. Dann war da dieser Zaun, über den nicht geklettert werden sollte. Eine Pflanze, die sich um einen gespannten Stacheldraht rankt, zeigt symbolhaft sehr gut, dass es mit der nötigen Vehemenz, Kreativität und Entschlossenheit möglich ist, eigene Wege zu gehen ohne sich an den vorgegebenen Grenzen zu orientieren. Wenn ich in 5 Yahren an die gleiche Stelle trete und das Foto nochmal mache, wirst du dort keinen Stacheldraht mehr sehen, weil er zugewuchert sein wird. Genau so sollten wir Widerstand organisieren.

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ATAKEKS: Du machst ja nun seit geraumer Zeit neben Deinen Band- und Theaterprojekten auch wieder Solo-Sachen, die sich allerdings schon von dem frühen QUETSCHENPAUA-Zeux unterscheiden. Wie wird das von den Leuten, also Deinem Publikum, angenommen? Bekommst Du auch außerhalb von Konzerten mal Reaktionen (uns hier schreibt ja kaum noch einer)?

Yok: Ich bekomme relativ viele Reaktionen auf mein Zeux. Meist sind das positive Reaktionen von Leuten, die mit meinen Sachen was anfangen können. Mein Eindruck ist der, dass die Leute, die den Kontext sehen, in dem ich auftrete und meine Geschichte dahinter ein bisschen kennen, gut klar kommen mit meinen aktuellen Songs. Aber ich bin mir selbst gegenüber extrem skeptisch. Das record-release-Konzert am 6.12.08 beispielsweise war wieder ein guter Test. Ich habe vorher nicht gewusst, wie viele Leute wirklich kommen würden und dass es dann fast 500 geworden sind, denen es größtenteils gut gefallen hat, freut mich und zeigt, dass da zumindest noch keine Talfahrt beginnt. Was mich außerdem froh macht, ist die Tatsache, dass vermehrt auch wieder „alte Genossen und Genossinnen“ bei meinen Gigs aufkreuzen. Die Zeiten, wo das Publikum immer yünger und yünger wurde, sind anscheinend vorbei.

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ATAKEKS: Auf der DVD gibt´s nun Ausschnitte aus 24 Jahren Deiner Geschichte, die ja zu Teilen auch die Geschichte einer militanten Linken ist. Und da ist auch von den Niederlagen die Rede. Gab´s mal einen Punkt, an dem Du kurz davor warst einen Schlussstrich unter die Musik und das politische Engagement zu ziehen? Und, jetzt mal so als mögliche Anregung auch für andere, wie entgeht man aus Deiner Sicht den Fallen der Depression und des Zynismus am Besten? Und umgekehrt: Was war für Dich der größte Erfolg, den Du/ Ihr in all diesen Jahren erkämpft habt?

Yok: Ich habe kein Rezept. Es könnte gut sein, dass ohne die Musik ein „weiter machen“ für mich auch nicht mehr drin gewesen wäre. Mindestens 90 – 95% der Leute, mit denen du zusammen was auf die Beine gestellt hast, sind irgendwann einfach weg…keine Arschlöcher geworden, aber weg. Politische Arbeit kostet Zeit und Kraft ohne Ende. Wenn du den Rahmen der Legalität verlässt, wird es noch heftiger. Über längere Zeiträume ist das belastend. Du brauchst Pausen und du brauchst gute Freunde und Freundinnen. Du brauchst untereinander viel Vertrauen und du musst mit deiner Angst einen Umgang finden. Und du brauchst das Gefühl, dass es sich „lohnt“, zu kämpfen, denn ohne Motivation hältst du auch nicht lange durch. Da gibt es viele Möglichkeiten, dass Dinge schief und aus dem Ruder laufen und das passiert ya leider auch tatsächlich ständig und dann brauchst du alles, was ich gerade eben aufgezählt habe doppelt und dreifach… Zu mir hat mal yemand gesagt, dass ich „nicht zu autonom“ sein soll, und dass ich mir noch was für später aufheben soll. Ye älter ich werde, desto mehr muss ich daran denken, wie recht er hatte. Der einzige Tipp, den ich in diesem Zusammenhang ausspreche, ist der, dass du dringend Pausen machen musst, dass du konsequent NEIN sagen musst, wenn dir was zuviel wird. Und wenn diese Pausen dann 5 Yahre dauern, ist das eben so. Wenn sie nur 5 Minuten dauern und du kannst danach mit dem Arsch voran in den nächsten Nazilautsprecherwagen springen, umso besser! Und von „Erfolgen“ will ich nicht sprechen. Für mich geht das anders auf. Mein Song „Sinn“* beschreibt für mich treffend, dass keine unserer Anstrengungen umsonst gewesen ist und auch in Zukunft nicht umsonst sein wird. Diese Einsicht hält meinen Psycho-Motor am laufen.

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ATAKEKS: Ich hab den Eindruck (keine Ahnung ob Du das teilst), dass sich nach der Quetschenpaua-Zeit bei Dir auch eine Tendenz zu persönlicheren (und dabei gleichzeitig auch ernsthafteren) Texten bemerkbar macht. Natürlich ohne das „Politische“ zu vernachlässigen. Aber insgesamt gibt es da schon mehr Lieder, die Dein „Privates“ berühren, etwa eines über den Tod Deines Vaters oder jetzt das wirklich sehr schöne Liebeslied „Verwertungsscheiß“. Bedurfte es dazu einer gewissen Entwicklung, fällt es Dir heute leichter auch solche Texte zu schreiben?

Yok: Natürlich bedurfte es einer „gewissen Entwicklung“, aber so neu ist die Machart eines solchen Songs wie „Verwertungsscheiss“ nun auch nicht. 15 Yahre vorher habe ich „Labello“ geschrieben, der war auch sehr persönlich. Vielleicht hat das keine/r gemerkt damals, aber es war so und es war sogar die gleiche Liebe. Aber darüber hinaus würde ich dir zustimmen. Damals war mein „Privates“ permanent politisch. Es gab fast gar nix anderes. Wir haben kollektiv gewohnt, kollektiv gearbeitet und uns natürlich auch politisch in Gruppen organisiert. Es gab diesen eigenen Mikrokosmos und diese eigene Struktur und das hat (mir)auch gereicht. Ich persönlich war da sehr drauf fixiert. Alle, die da nicht dazu gehörten und oder nicht mitmachten, waren in meinen Augen ya auch Arschlöcher…nicht ausgesprochenermaßen, aber gefühlt. Aus so einer Perspektive entstehen dann besondere Lieder, na klar! Das sagt aber beispielsweise auch, dass der Blick auf persönliche Dinge in diesen krassen Zeiten oft zu kurz gekommen ist. Wir haben uns oft nicht gut umeinander gekümmert und das ist dann einer der Gründe, warum das auf lange Sicht für viele nicht funktioniert. Heutzutage konfrontiere ich mich öfter mit dem, was ich „die richtige Welt“ nenne, also alles außerhalb dieses eben benannten Szene-Dunstkreises und sei es banalerweise oft auch nur dann, wenn ich meiner Arbeit als Taxifahrer nachgehe. Das prägt neu und anders und erfordert eine hohe Auswahl an Konfliktstrategien, die ich alle erst entwickeln musste. Das macht mich wieder fähiger, mich den vielfältigen Hässlichkeiten der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu stellen oder gegebenenfalls der Scheisse einfach präventiv auszuweichen, wenn sie angeflogen kommt. Kann gut sein, dass das, was dann an Songs abfällt, tendenziell „ernster“ ist. Ein weiteres Problem ist, dass meine utopistische Euphorie und ganz allgemein meine Begeisterungsfähigkeit mit fortlaufendem Alter eher ab- als zunimmt.

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ATAKEKS: „Punk“ nimmt in dem auf Deiner DVD befindlichen, sehr ausführlichen Interview ja einen recht großen Raum ein und wenn man das mal überschlägt, dann sind bestimmt 90% der Geschichten, die Du da erzählst eher negative. Angefangen bei der dämlichen Pauschalablehnung von anders Gekleideten und Langhaarigen, über eine eher stumpfe, also wenig kreative und überdies oft inkonsequente Verweigerungshaltung bishin zum Abhängen mit Faschos. Nun ist die Kritik aus meiner Sicht nicht selten durchaus berechtigt, findet sich dann so allerdings kaum in Deinen Songs, wo die Punx meist eher die lustigen und spontan agierenden Leute sind, die auch ohne besonderen theoretischen Background auf der richtigen Seite stehen. Wolltest Du da jetzt mal bewusst nen Kontrapunkt setzen und warum thematisierst Du diese Dinge nicht auch mal ganz konkret in einem Song? Und: Gab´s denn auch richtig nette Geschichten mit dem Irokesenvolk?

YOK: Na klar gab es auch sehr klasse Geschichten. Yede Menge sogar. Du selbst bist doch auch eine davon. Als du vor etwa 10 Yahren dein erstes Interview mit mir und den anderen TUM’s machen wolltest mit deinem putzigen Dosenbier in der Hand, deinem Iro, der nicht stand und deiner betont „interessierten desinteressierten“ Haltung uns gegenüber, die mir sagen sollte: „Ey, glaubt bloß nicht, dass ich euch irgendwie toll finde…ich mache hier bloß das Interview…“ (Ich geb Dir gleich „putzig“, Kollege… ) Oder 1980, da bin ich alleine nach Birmingham getrampt, wollte mir in so ’nem Randgebiet einen Pennplatz unter ein paar Bäumen suchen und stieß auf die absoluten Anarcho-Strassen-Chaos-Punx. Erst hatte ich voll Schiss vor denen, aber die haben mir beispielsweise trotz meiner langen Haare nix auf die Schnauze gehau’n, sondern haben ihr Bier mit mir geteilt. Das war hübsch! Oder yetzt gerade, 2008, wo mir ein Typ glasig grinsend auf einem Konzert ein Bier vorbei bringt mit den Worten: “Für dich, ey, ich finds krass, dass du in deinem Alter noch auf so Konzerte gehst, Alter,…Prost!“ Mir war gar nicht so bewusst, dass die Erzählungen auf meiner DVD so negativ ausfallen…entsprechend hatte ich auch nicht vor, einen Kontrapunkt zu setzen. Es geht mir da auch weniger um den Begriff Punk, sondern mehr darum, wie sich Leute verhalten, aber dazu kommen wir ya später noch…

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ATAKEKS: Auch in der kleinen Doku über Deine Musikergeschichte kommen Punx an einer Stelle in einem recht üblen Zusammenhang vor. Sie solidarisieren sich mit einem Vergewaltiger, oder besser: mit jemandem dem eine Vergewaltigung vorgeworfen wurde. Zum einen wäre es, wenn man so ein Thema schon bringt, mit Sicherheit gut gewesen dann auch mal kurz was zu den Hintergründen zu sagen, denn wahrscheinlich werden doch beide Seiten, also auch die Punx, Argumente für ihre Sicht der Dinge vorgetragen haben. So hinterlässt das nen komischen Beigeschmack. Zum Anderen ist das ja ein Punkt, an dem es sowohl zwischen Vertretern einer autonomen Linken und Punx als auch innerhalb der Punkszene immer wieder Auseinandersetzungen (mit teilweise heftigen Angriffen) gab. Bands wie HEITER BIS WOLKIG oder CONFLICT sollten boykottiert werden, einzelne (unbekanntere) Menschen wurden aus den lokalen Szenestrukturen vertrieben und damit auch abgestempelt. Das wirft einige Fragen auf, so etwa was ausreichend ist von einer Vergewaltigung zu sprechen und diese zu belegen. Denn wenn es keines Beweises mehr bedarf, die Aussage einer Frau genügt, die Definitionsmacht also allein beim Opfer oder eben leider auch beim vermeintlichen Opfer liegt, ist der Willkür doch grundsätzlich Tür und Tor geöffnet. Wie siehst Du das? (schwieriges Thema, ich weiß, aber Du hast es angerissen, also schreib bitte jetzt mal was Ausführlicheres dazu…)

YOK: Puha, das ist viel Stoff, ich versuche mal, so klar wie möglich darauf zu antworten. Auf der DVD erzähle ich die Geschichte eines Magdeburgauftrittes Anfang der 90er und beschreibe 3 Faktoren, die diesen Auftritt spektakulär und schwierig gemacht haben. Einer dieser Faktoren war, dass „Punx“ sich mit einem Typen solidarisch erklärt hatten, dem eine Vergewaltigung vorgeworfen wurde. Dieser Typ wurde nicht ins Haus gelassen, deshalb gab es relativ heftige Auseinandersetzungen. Als Kontext will ich dazu mindestens liefern, dass das auch eine Zeit war, in denen die Gräben zwischen „Punx“ und „Autonomen“ in einigen Städten (Hannover, Berlin z.B.) tiefer und tiefer wurden. Deshalb fiel diese schlichte Aufteilung in eben „Punx“ und „Autonome“ oft nicht sonderlich schwer und genau das kam dort in Magdeburg zum Tragen. Deshalb diese relativ banale Kategorisierung meinerseits in diesem Abschnitt der DVD. Die Stoßrichtung der Magdeburg-Geschichte ist dann ya aber auch eine völlig andere. Aber gut, die grundsätzliche Frage danach, wie mit Vergewaltigungen und Vergewaltigungsvorwürfen umzugehen ist, steht trotzdem im Raum. Grundsätzlich gilt für mich die Definitionsmacht der/des Betroffenen. Und grundsätzlich gehe ich nicht davon aus, dass der/die Betroffene ein Interesse daran hat, sich etwas auszudenken, um yemandem zu schaden, sondern ich gehe davon aus, dass dieser Person etwas ziemlich Schlimmes passiert ist. Die Geschichte NICHT anzuzweifeln, ist ein erster notwendiger Schritt, um erstmal unmissverständlich zu zeigen, dass du das ernst nimmst. Ich behaupte, dass in 100 Fällen maximal einer dabei ist, der ein „fake“ ist. Ausnahme und Regel eben. Nun ist es ein interessantes Phänomen, dass gerade in unserer Szene sich immer schnell Leute finden, die genau diese Zweifel einbringen, weil ya der Typ XY ein guter Kumpel ist und sowas garantiert nicht machen würde etc…Aber es ist, wie es ist: Ganz „normale und nette“ Menschen tun Dinge, die anderen schaden, die andere Menschen traumatisieren, auch unsere Freunde und wir selbst sind dazu in der Lage. Ob nun mit Vorsatz oder aufgrund von massiver Unsensibelität, oder unter Einfluss von Drogen und/oder Alkohol ist ya erstmal egal, wenn du das aus der Sicht des Opfers betrachtest. Es passiert täglich und es passiert meist zwischen Menschen, die sich kennen. Dabei ist die Bandbreite dessen, was als Grenzüberschreitung empfunden wird sehr groß, eben weil es keine obyektive Definition geben kann. Oft wird zum besseren Verständnis der Bereich „Rassismus“ hinzugezogen, um was zu verdeutlichen. Das halte ich nur begrenzt für brauchbar, aber folgendes möchte ich trotzdem fragen: Warum entstehen möglicherweise bei einem Schwarzen, der in der U-Bahn von einer Person rassistisch beschimpft und „nur“ angespuckt wird, größere seelische und psychische Schäden, als bei einem anderen Schwarzen, der von 5 Nazis zusammengeprügelt und dabei körperlich massivst verletzt wird?! Wieso ist der eine nach einem halben Yahr wieder „auf dem Damm“, während der andere einfach nicht mehr klar kommt und es z.B. nicht mehr schafft, yemals wieder U-Bahn zu fahren?! Und für wie wahrscheinlich hälst du die Möglichkeit, dass sich „der Schwarze“ diesen Überfall nur ausgedacht hat…warum auch immer…? Und um es vielleicht noch mal deutlicher zu sagen: Wie tief Traumata wirken, hängt sehr von der Persönlichkeitsstruktur der/des Betroffenen ab, nicht nur von der vermeintlichen Intensität des Angriffs. Und genau dieses gilt in ähnlicher Weise für den Bereich von sexualisierten Grenzüberschreitungen und Vergewaltigungen. L a n g e r G e d a n k e n s t r i c h ----------------------------------------- Ich habe mich mit dem Thema in den letzten 20 Yahren sehr viel auseinandergesetzt, auch ganz persönlich, auch extrem emotional, weil Täter und Opfer aus dem unmittelbaren Umfeld kamen. Das hört auch nicht auf, weil es leider immer wieder passiert. Aber natürlich sagt das Opfer, was ihm passiert ist, wer denn sonst?! Und das Opfer sagt verdammt noch mal auch, wie er/sie das dann nennt. Und wenn wir das Vertrauen nicht aufbringen, diesen Schilderungen oder Behauptungen auch Glauben zu schenken, können wir einpacken. Das wäre der Anfang vom Ende.

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ATAKEKS: Ich will hier keine Hochrechnungen anstellen und mit Sicherheit muss man auch nicht davon ausgehen, dass die Zahl der erfundenen Übergriffe oder Vergewaltigungen sonderlich groß ist. Nichtsdestotrotz sind mir allein zwei Fälle bekannt, in denen das einfach nicht stimmte. Wenn man Opfer (oder vermeintliches Opfer) oder Täter (oder vermeintlichen Täter) persönlich kennt, ist die Sache schon schwierig genug. Wenn man nun aber aus der Distanz hört, dieser Typ/diese Band sei nun überhaupt nicht mehr tragbar, ist man dann verpflichtet das zu glauben, weil eine bestimmte Gruppe von Menschen das behauptet? Tatsächlich lässt sich immer wieder mal erleben, dass Frauen genauso beschissen eifer- und rachsüchtig und skrupellos agieren können wie Männer und so wird dann mitunter sogar der nicht minder schlimme Vorwurf des Kindesmissbrauchs in Scheidungsverfahren als Waffe benutzt (um mal ein anderes Beispiel als den Rassismus zu nehmen)… Von unangenehmen Gruppendynamiken auch innerhalb der Linken mal ganz zu schweigen. Und wenn ferner klar ist, was soziale Ausgrenzung und der durch die Stigmatisierung als „Vergewaltiger“ ausgelöste psychische Druck in einem Menschen auslösen können (physische Attacken dabei noch außen vorgelassen), dann finde ich diesen Umgang mit immerhin möglicherweise zu Unrecht Beschuldigten fahrlässig bis zynisch. Kollateralschaden oder wie? Wenn wir das Wort Rechtsstaat hier mal nicht in der negativsten politischen Bedeutung auffassen, dann scheinen mir einige rechtsstaatliche Grundsätze auch bei diesem Thema letztlich ohne Alternative, denn Menschen ohne Beweise abzuurteilen und die Beweispflicht damit umzukehren führt zwangsläufig zu einem Willkürsystem gegen das sich dann auch der Unschuldige nicht mehr wehren kann. Folglich habe ich, obwohl mir die Schwierigkeiten der Beweisbeschaffung gerade bei diesem Thema klar sind, die größten Zweifel an der moralischen Überlegenheit des „autonomen Umgangs“ mit solchen Fällen…

Yok: Und darauf will ich nun nur noch kurz eingehen. Du sprichst von psychischem Druck und Stigmatisierung nur in Hinsicht auf einen zu Unrecht beschuldigten Täter und wir sind damit immer noch im Ausnahmefallbereich. Was ist in den unzähligen Regelfällen mit dem psychischen Druck und den Traumatas der Opfer, wenn du direkt damit anfängst, dem genannten Vorwurf keinen Glauben zu schenken? Ich unterstelle dir diesbezüglich andersrum übrigens keinen Zynismus oder stelle die überflüssige Frage, ob du das als Kollateralschaden bezeichnen würdest. Polarisierungen beenden meist die notwendigen Auseinandersetzungen. Ich erwarte aber Empathie und auch ein Höchstmaß an Vorsicht. Ye weiter der Vorwurf von mir entfernt ist, desto zurückhaltender muß ich erstmal sein. Und ye dichter dran er ist, desto mehr Verantwortung habe ich, mich auch selbst um Dinge zu kümmern. Dazu gehört übrigens auch oft, gerade für uns Männer, dem Täter nicht nur den Arschtritt zu geben, denn das ist einfach, sondern sich mit ihm zusammen- und auseinanderzusetzen, unter Umständen über lange Zeiträume. Mal ganz nebenbei gesagt, ist so eine Auseinandersetzung auch außerhalb von konkreten Vorfällen äußerst sinnvoll. Das ist alles unfassbar kompliziert, aber es ist für mich persönlich der einzige Weg, um sich einem guten Umgang zu nähern, bei dem der Schutz der/des Betroffenen an oberster Stelle steht. Daß Menschen in der Lage sind, sehr glaubhaft krasse Unwahrheiten in die Öffenlichkeit zu schmeißen und dass das auch immer wieder passiert, hält mich nicht davon ab, die entsprechenden Vorfälle immer wieder neu, einzeln und möglichst unvoreingenommen zu betrachten.

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ATAKEKS: An der Stelle geht es dann auch noch weiter: So sagst Du (sinngemäß), Du hältst es eigentlich für eine Selbstverständlichkeit, dass Arschlöcher, also Leute, die andere (auch) sexistisch diskriminieren in unseren Freiräumen und Läden nix zu suchen haben. Nur wo fängt denn so was an? Wo liegen die Grenzen, wer legt das fest? Ich erinnere mich an Debatten über „Blicke“, also wenn irgendwer zu lange ne Frau oder ihren Rock anglotzt… (Wo führt denn so was hin? Keinen Bock auf Züchtigkeit, oder?) Oder darüber ob LOIKÄMIE, die zumindest was rechtes Gedankengut angeht, zu den tatsächlich koscheren deutschen Oi-Bands gehören, irgendwo spielen dürfen oder nicht… Meiner Auffassung nach liegt da auch ein großes Spaltungspotential und wurde des Öfteren deutlich über das Ziel hinausgeschossen. Wie siehst Du das? Und gibt es bei Frauen nicht gelegentlich auch so was wie ein Sich-wichtig-machen und In-Szene-setzen und Seine-Macht-missbrauchen - manchmal eben auch über solche vermeintlichen Belästigungsgeschichten- und bei Männern in der Szene dann nicht teilweise auch schon wieder so eine Schere im Kopf, die es verbietet was dagegen zu sagen, weil man dann ja vielleicht ebenfalls ein Sexist wäre? Hast Du solche Mechanismen auch schon mal beobachtet? (Und damit soll dem grundsätzlichen Anliegen hier definitiv nicht die Berechtigung abgesprochen werden…)

Yok: Was diskriminierendes Verhalten in öffentlichen Räumen angeht, die wir als die unseren bezeichnen würden, hängt auch maßgeblich davon ab, wer wie was empfindet, logo. Unsere Grenzen sind nun mal unterschiedlich und mein eigener Maßstab dafür, was ich aushalten kann, muss für andere nicht gelten, kann für andere gar nicht gelten. Wenn mir ne Frau sagt, dass ich aufhören soll, zu glotzen, weil sie das nervt oder unangenehm findet, gucke ich dann wohl besser woanders hin und würde ihr vermutlich auch signalisieren, dass mir das leid tut. Wenn diese Ebene übersprungen wird und es kommen gleich drei Leute an, die mich vor die Tür setzen und mir Hausverbot erteilen, ist das bitter und ein extrem saurer Apfel, aber damit muss ich dann in der Situation erstmal leben. So „niedrigschwellig“ geht das aber ya meist auch nicht ab. Ich empfinde das Klima auf manchen Konzerten als extrem „ruppig“ und mag mir gar nicht vorstellen, wie sich Leute hin und wieder fühlen, die ein dünneres Fell haben als ich. Wie sich Frauen oft fühlen, können wir Kerle uns eh nicht wirklich vorstellen. Und ich liebe aber beispielsweise Konzerte, wo auf der Tanzfläche in etwa gleich viele Männer und Frauen unterwegs sind. Sowas ist immer ein gutes Zeichen und spricht oft für die Band, die da Musik macht. Und das ist dann auch die Antwort auf deine „Loikämie-Frage“. Klar ist das super, dass die sich ziemlich deutlich gegen rechts stellen und das ist auch bitter nötig, wenn ich mir die derzeitige Oi-Szene so betrachte, aber es ist auch Musik von Männern für Männer. Da ist „eine männliche Härte“ im Spiel, die mir oft nicht behagt. Leider habe ich es verpasst, sie mir Ende Dezember live anzuschauen, um mal einen direkten Eindruck zu bekommen, aber ich bin mir auch so sicher, dass ich bei „OI POLLOI“ definitiv besser aufgehoben bin. Abschließend möchte ich dazu sagen, dass eine Konsequenz oder Sanktion, die ausgesprochen wird, niemals die Auseinandersetzungen ersetzen kann, die immer wieder neu geführt werden müssen.

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ATAKEKS: Ich durfte auch schon mehrfach „weibliche Härte“ beobachten, auch im Umgang mit so harm- wie wehrlosen Betrunkenen, die weit davon entfernt waren sexuelle Übergriffe zu begehen. Und in der Folge dann das entsprechende Rudelverhalten total antisexistischer Männer. Auf den Teil der Frage gehst Du allerdings nicht ein. Noch nie bemerkt oder nicht der Rede wert, weil es in 99,9% der Fälle ja ganz sicher andersrum ist?

Yok: Ich habe bei mir selbst schon völlig unverhältnismäßiges Verhalten beobachtet, als es beispielsweise darum ging, dass ein Obdachloser ne Flasche Schnaps klauen wollte aus der Kollektivkneipe, in der ich damals gearbeitet habe. Habe ihn auf ne ziemlich fiese Art rausgeschmissen und würdest du mir heute ein Video von diesem Vorfall zeigen, würde ich klar eingestehen müssen, dass diese Vehemenz scheiße und unangemessen war. Wir reagieren oft nicht so, wie es am Besten wäre. Gerade wenn so viele Emotionen im Spiel sind. Ye mehr „klare Köpfe“ in so einem Moment vor Ort sind und sich einmischen, desto besser. Aber auch „wehrlose Betrunkene“ sind handelnde Subyekte…und auch verantwortlich für das, was sie veranstalten…so ganz grundsätzlich…Aber ich bin übrigens auch hier erstmal ein Vertreter davon, dass der Rausgeschmissene zu gehen hat. Alles weitere wird dann besprochen…vertieft oder zurückgenommen. Für mich „normale Wege“ der Kommunikation, wenn die Kacke erstmal eskaliert ist.

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ATAKEKS: Ein anderes brisantes Thema, dass ich nicht nur aus aktuellem Anlass, nicht außen vor lassen will, ist der so genannte Nahostkonflikt, der in diesen Tagen wieder eskaliert. Wie Einiges andere (Afrika, Tibet) reißt Du das Thema in Deinen Liedern kurz an, allerdings ohne noch sonderlich konkret zu werden. Warum hast Du diese Form gewählt und wie stehst Du denn ganz konkret zum derzeitigen Vorgehen des israelischen Militärs und dem der Hamas? In Verbindung damit: Wie schätzt Du das Potential der Antideutschen ein, spielen die z.B. in Berlin innerhalb „der Linken“ noch eine Rolle?

YOK : „Die Antideutschen“ sind mir egal und spielen innerhalb der Linken kaum noch eine Rolle. Wäre ya auch absurd, da sie sich selbst ya meist auch außerhalb dieses „linken Milieus“ erklären und verorten. Dass ich Themen, die so kriegerischer und weltpolitischer Natur sind, manchmal nur anreiße, hat damit zu tun, dass ich mir selbst nicht mehr gut über den Weg traue, wenn es darum geht, eine Einschätzung oder Beurteilung der Dinge vorzunehmen und ich frage mich manchmal sogar auch, wozu das gut ist. Ich stelle mittlerweile tatsächlich stattdessen lieber mal ne offene Frage…Warum ist es beispielsweise so, dass die Menschheit schon vor 40 Yahren in der Lage war, auf den Mond zu fliegen, es aber immer noch nicht hinkriegt, sich selbst komplett und global mit sauberem Trinkwasser zu versorgen?! Ich reiße Dinge an, ya, damit diese Themen das Bewusstsein der Leute erreichen. Ich finde es beispielsweise auch legitim, gegen Atomkraft zu singen, ohne den Leuten zu erklären, wie das mit der Strahlung und der Kernspaltung genau funktioniert…mal ganz abgesehen davon, dass ich das in dieser Ausführlichkeit wohl auch gar nicht könnte. Was den aktuellen Nah-Ost-Konflikt angeht, bin ich zu keiner Parteinahme bereit. Das Ganze lässt sich nicht auf eine einfache Formel herunterbrechen und entsprechend lässt sich darüber viel diskutieren, aber nicht gut singen. Für mich ist das nicht die Zeit, öffentlich irgendetwas Schlaues zu formulieren. Orientierung sind für mich die Menschen an der Basis vor Ort, die noch miteinander reden und versuchen, miteinander klar zu kommen.

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ATAKEKS: Dein Song „Drinnen und draußen“ erinnert, zumindest was die ersten Strophen betrifft, an DEGENHARDTS „Lied für die ich es sing“. Kennst Du die Nummer (zufällig)?

YOK: Der Song von Degenhardt ist mir, glaube ich, nicht bekannt, es sei denn, es ist das Pendant zu einem Song von George Brassens, den ich sehr mag…Auf meiner CD „DRUM AND QUETSCH“ ist rund um das Puzzleweg-Lied was zu hören davon…und im Booklet die Übersetzung nachzulesen… (Stimmt, ist tatsächlich ne Bearbeitung von einem Lied des sehr empfehlenswerten GEORGE BRASSENS…)

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ATAKEKS: Seit dem Kosovo-Konflikt führt Deutschland wieder Krieg. Gegen Serbien, dann in Afghanistan, jetzt gegen somalische Piraten. Trotzdem hat man irgendwie den Eindruck, dass diese nicht ganz unwichtige Tatsache zu den meisten Mitbürgern nicht wirklich durchdringt. Ist auch das im Zuge der völligen Entpolitisierung inzwischen schon egal oder sind die eigenen Verluste noch nicht hoch genug? Und wie siehst Du diese Einsätze? Mit TUM hast Du mal gesungen „Soldaten sind Mörder“ und Bezug nehmend auf den Tod einer afghanischen Frau und zweier Kinder nennst Du im Booklet der CD die Bundeswehr eine „verbrecherische Vereinigung“. Unbestreitbar dennoch, dass in Afghanistan auch Aufbauarbeit getan wird und dass viele dieser Projekte ohne militärischen Schutz nicht bestehen könnten. Lehnst Du solche Einsätze trotzdem grundsätzlich ab und wie legitimiert mensch eine Nichteinmischung trotz übelster Menschenrechtsverletzungen (v.a. wenn mensch kein Pazifist ist)?

YOK: Erstmal ne kurze Korrektur: Ich nenne die Bundeswehr eine „kriminelle Vereinigung“ auch in Anlehnung daran, dass hier in Berlin gerade Leuten der Prozess gemacht werden soll, wegen Mitgliedschaft in eben einer solchen „kriminellen Vereinigung“. Unter anderem wird ihnen vorgeworfen, den Versuch unternommen zu haben, Bundeswehrfahrzeuge, anzuzünden, die auf einem Firmengelände abgestellt waren. Ermittelt und prozessiert wird mit dem Paragraphen 129 (Bildung einer kriminellen Vereinigung) Du hattest in deiner Frage von einer „verbrecherischen Vereinigung“ gesprochen. Über Yahrtausende hinweg marodieren Staatsarmeen, ich nenne sie einfach mal so, über diesen Planeten, brandschatzen und morden. In unserer heutigen Zeit mit immer ausgefeilteren Techniken und Präzisionen und vor allem gerne im Namen von Gott oder wahlweise irgendeiner aufrechtzuerhaltenden Zivilisation. Die Schlachtfelder sind aber gleich geblieben: blutig und dreckig. Militärstrukturen sind niemals dazu gut, aus dieser Welt eine bessere Welt zu machen. Das Gegenteil ist der Fall. Du kannst Armut und Ungerechtigkeit nicht wegbomben, auch keine Menschenrechtverletzungen. Militärstrukturen sind organisierte staatliche Gewalt auf höchstem Niveau. Wogegen sich das im Bedarfsfall richtet, entscheiden nicht wir. Ich spreche dieser Struktur, in der nur sehr wenige an den Hebeln der Entscheidungen sitzen, yegliche Berechtigung ab! Die Alternative dazu kann nur in einer grundsätzlichen Veränderung der gängigen Strukturen liegen. Sonst geht das immer so weiter, dass Verbrechen gegen Menschen mit neuen Verbrechen gegen Menschen bekämpft werden. Um diesen Ablauf zu unterbrechen, müssen vermutlich eine Menge Revolten und Revolutionen stattfinden. Am End liegt die Verantwortung direkt bei dir und bei mir, wenn wir das „Ausbaden der Konflikte“ nicht an Militär, Polizei und Regierungen deligieren wollen. (Dann mal ran an den selbstorganisierten Aufbaukurs „humanitäre Hilfe und defensive Bewaffnung für eine freie Welt“). Ergänzend möchte ich noch sagen, dass ich deine Behauptung, dass die Aufbauarbeit in Afghanistan ohne militärischen Schutz nicht möglich wäre, sehr wohl für streitbar halte. Wer schätzt so was mit welchen Interessen ein? Und andersrum ist es ya nicht sonderlich verwunderlich, dass auch Menschen vor Ort auf all die militärischen Angriffe der letzten Yahrzehnte, dort auch bewaffnet antworten. Natürlich haben die zahlreichen Interventionen auch große negative Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung, weil beispielsweise auch yede Menge Menschen und Infrastruktur weggeschossen wurden. Und ob ich da den Besatzern noch besonders wohlgesonnen wäre, wenn ich in einem der betroffenen Gebiete leben würde, wage ich zu bezweifeln.

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ATAKEKS: Die „Du bist Deutschland“-Kampagnen, die Geschichts-Zweiteiler und „Kino-Ereignisse“, das Sommermärchen und sein Flaggenmeer, des Führers Oberlippenbartstutzer, GOEBBELS arme Kinder und Guido Knopp zeigt den „Bombenterror“ von Dresden… Steckt hinter all dieser Scheiße – die unzähligen verbalen „Ausrutscher“ von diversen CDU-Politikern eingerechnet- ein System? (BURDA etwa finanzierte „Du bist Deutschland“ und ließ den BAMBI an TOM-Gott-schütze-das-heilige-Deutschland-CRUISE gehen.) Ist das schon gezielter Geschichtsrevisionismus oder eher eine ungelenkte Entwicklung, die man dann recht schwammig als „Zeitgeist“ beschreibt… In diesem Zusammenhang: Beschäftigst Du Dich überhaupt mit dieser Art Medienmüll (und welche Arten konsumierst Du)?

YOK: Wer behauptet, dass dahinter ein System steckt, ist nahe dran an Verschwörungsscheiße. Ich würde es eher so formulieren, dass ein gesellschaftliches Klima herrscht, in dem so etwas nun mal passiert und wieder möglich ist, und das ist beunruhigend genug. Und natürlich fällt dabei ab, dass Geschichte verfälscht und teilweise neu geschrieben wird. Die Stimmen der letzten Überlebenden verhallen nach und nach und das macht es dieser Entwicklung zusätzlich leichter. Unsere Aufgabe ist es sicher auch, die Geschichten dieser Menschen immer wieder neu ins Bewusstsein anderer Menschen zu bringen.

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ATAKEKS: Du beschreibst auch immer wieder die Situation von denen, die hier durch das sogenannte Netz fallen, die man in den Innenstädten und Einkaufszentren nicht sehen will. Dass sich der Lage der zahlreicher werdenden Marktwirtschaftsverlierer in den letzten Jahren verschlechtert hat ist unübersehbar. Warum glaubst Du regt sich in Deutschland in der „Normalbevölkerung“ so wenig Widerstand und wohin geht die Reise mit diesem „Sozialstaat“, bzw. wie weit runter ist vorstellbar?

YOK: Ich glaube, dass die Menschen keine Vorstellung mehr davon haben, was hier abgehen würde, wenn viele einfach mal laut NEIN sagen würden. Die Vorbilder diesbezüglich in der „eigenen“ Geschichte sind rar und wenn du dann nach Frankreich schielst und dir die Vorstadt-riots anguckst, wird das ya medial auch wieder so aufbereitet, dass die wenigsten dem irgendwas abgewinnen können, was einer sozialen Revolte nahe kommen würde. Und ganz ehrlich: Was regt sich denn diesbezüglich bei mir, bei uns, den Leuten, die schon die eine oder andere Erfahrung mit Widerstand und Protest haben?? Da bin ich selbst ganz schön Normalbevölkerung oft… Wir werden bald ein Heer von armen alten Menschen haben, ohne Zähne und ohne Hoffnung. Ich werde vermutlich dazugehören in vielleicht 2 Yahrzehnten, vielleicht auch deutlich früher. Ich schreibe gerade einen Song, der heißt „ANTIFA ALTERSHEIM“**…das ist eine Perspektive, aber die verhindert leider auch nicht, dass viele Menschen hier sozial und materiell extrem abschmieren werden.

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ATAKEKS: In einem älteren Interview mit KINK-RECORDS hast Du gesagt, dass Du SLIME immer zwiespältig und eine öffentliche Äußerung oberarm fandest. Worum ging´s denn dabei?

YOK: Du gräbst aber auch Sachen aus…Es ging konkret um eine Stellungnahme der Gruppe zu den Vorwürfen zu Heiter bis Wolkig, die damals in der Hamburger Zeck dokumentiert wurde. Sie war mit „Slimescheisser“ überschrieben und von Dirk von Slime im Namen der Band unterschrieben und darin stand so einiges, was mich dann doch sehr enttäuscht bzw. gestört hat. Ich werde hier die Debatte aber nicht wiedergeben wollen, sondern verweise nur auf das Yahr, in dem sie ihren Ursprung hatte, dann kann, wer will, selbst recherchieren. Es war 1994. Und es ging beispielsweise auch darum, dass Dirk recht offen in Erwägung zog, dass die Vergewaltigung, die Micha von HBW vorgeworfen wurde, auch fälschlicherweise nur behauptet sein könnte. Das fand ich zum Kotzen.

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ATAKEKS: Zum Abschluss: Deine derzeit-oder-alltime-Lieblingsbücher-Platten-und-Filme:

Bücher:

„Worte aus einer zerstörten Welt“ über das Ghetto in Wilna von Gudrun Schroeter

„Neulich in Neukölln“ Kurzgeschichten von Uli Hannemann

Musik:

CD „Amanecio“ von Boikot

CD „Gypsy Punks“ von Gogol Bordello

Film:

„The Kid“ von und mit Charlie Chaplin

„Dream of life“ Musikdoku über Patti Smith

YOK: Und ganz zum Schluß, wenn du mich schon nicht danach fragst, sage ich noch, daß wir mit einer neuen Band am Start sind. Unser Name ist „option weg“ (icke (Ukulele, Quetsche, Gesang), Hella (Bass, Geige, Quetsche, Gesang), Anja (Schlagzeug, Gesang) und Steffen (Gitarre, Bass, Gesang)). Wir haben unsere ersten drei Auftritte bereits bestritten. Unser Motto ist „Trümmer/Träume/Trash“ und ein erster Track zum Hören ist auf meiner aktuellsten CD. Wer Kontakt aufnehmen möchte, kann das über newyok@gmx.de machen.

ATAKEKS

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