POCKETPUNK
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WONACH WIR SUCHEN

LAUTE PFADE LEISE SOHLEN (CD oder VINYL)

Es ist schon acht Jahre her, dass ich die CD AUFBRUCH von WONACH WIR SUCHEN besprochen habe. Da bestand die Band noch aus Pirr und Max. Ein Duo mit Akustikambitionen im klassischen Liedermacher'innen-Style, ein bisschen zuhause im Umfeld der Rotzfrechen Asphalt-Kultur. Mittlerweile sind sie zu viert. Max ist lange raus. Die Neuen heißen Robbe (guit./voc.), Grüner (guit.) und Falk (drums). Pirr ist die Konstante des Projekts, singt und spielt Bass und Mundharmonika. Mit der RAK haben sie eigentlich nichts mehr zu tun.

Du legst die Platte auf und bist sofort mittendrin. Der erste Song heißt REBELLIN und treibt nach vorne wie eine starke Windböe, die dich erwischt und überraschend mitnimmt. Du hast das Gefühl, du befindest dich genau auf dieser Wolke, von der gesungen wird und die plötzlich beschleunigt. Ein shuffeliges Schlagzeug, wenig Gitarren, wenig Bass, aber alles greift gut ineinander und tanzt. Der Song ist einer der ältesten, er befand sich sowohl auf AUFBRUCH als auch auf WER KIPPELT, STEHT, einer WONACH WIR SUCHEN-Zwischenstufe. Jetzt erlebt REBELLIN die perfekte musikalische Ausformung, abgerundet von Pirrs Mundharmonika.

Dann kommt PFLASTER, ein Emokracher wie ihn die Band gerne mal auspackt. Dieser hier ist aber musikalisch gleichzeitig das härteste Stück auf der gesamten Platte und deshalb etwas untypisch. Die angezerrten schrägen Akkorde korrespondieren gut mit dem schweren Text. "Wie ein Pflaster klebt deine Hand auf meinem Bauch" ist ein für mich gelungenes Bild, das im Text gemalt wird. In HEY heißt es dann "...wenn eine Träne nach der anderen schon in der Warteschlange steht...". Auch fein. HEY kommt ganz sanft daher und erzählt auch vom Alleinesein, vom Beziehungsende, davon, dass es wieder nicht geklappt hat. Sehr sentimental. Es gibt ein Video dazu, das den Song für mich schrottet, weil ich genau die Geschichte nochmal sehen kann, die mir gleichzeitig erzählt wird. Da hat mein Kopf nix mehr zu tun, das nervt. Der Song alleine, am Besten im Vinylsound, ist echt schön. Da werden sich viele Hörende auf die eine oder andere Art und Weise wiederfinden.

LIEBER LIEB macht von Anfang an klar, dass es so wie bei HEY nicht weitergeht. Kein weiteres Drama, sondern das erste Mal ein bisschen Humor. Die Drums geben ein paar Takte vor, dann legt sich der Bass rein und schließlich: "Schmatz nicht beim Fressen!". Lustig! Und auch so'n Song, der alt ist, wie überhaupt die Hälfte der Songs, aber das weißt du ja nur, wenn du die Band kennst. Und das ist auch keine Kritik, ganz im Gegenteil. Mit manchen Songs ist es wie mit guten Weinen. Je länger sie reifen, desto besser schmecken sie. Vielleicht habe ich als Biertrinker da mit meinem eigenen Liederrepertoir einiges versäumt. Aber selbst auf unserer neuen Platte, die wir mit option weg aufgenommen haben, sind auch zwei alte Yok-Songs drauf. Warten wir mal ab, wie das aufgenommen wird. Zurück zu LIEBER LIEB. Da wird es hinten raus geil orchestral! Ich hätte das für'n Synthesizer gehalten, wenn es nicht explizit im Platteninnenleben erwähnt worden wäre, weil ich mir immer nicht vorstellen kann, dass bei so Produktionen mehr Aufwand als nötig getrieben wird. Aber es ist die Hot Staff Brass Band, die da bläst. Sehr sehr fett! Schöne Variante! Aus LIEBER LIEB stammt übrigens auch die Zeile WER KIPPELT, STEHT. Für mich der alternative Albumtitel, aber so hieß ja, wie schon erwähnt, die Vorgänger-CD.

Track 5 heißt dann RESSENTIMENTS. Das ist mein Song und ich freue mich außerordentlich, dass er hier so großartig gecovert worden ist. Textlich sicher immer noch ein treffendes politisches Statement mit genügend Eigenreflexion, das halbwegs zeitlos scheint. Auch schon 10 Jahre alt das Ding.

Letztes Stück auf der A-Seite: MITTAGSPAUSE. Kommt ungewohnt rockig daher. Die Geschichte eines Bänkers, textlich ohne Tiefe, aber von der Form her aufbrausend genug, dass ich ihn mag,...also den Song, nicht den Bänker. Besonders toll finde ich den Einfall, nach jeder Strophe ein schnelles "Hey" oder "Ho" stimmlich hineinzuwerfen. Das sind so kleine Gimmicks, die oft das Salz in der Suppe sind und ich weiß, wie schwer es ist, auf so Ideen zu kommen.

Okay, Platte umgedreht. A und B-Seite unterscheiden sich übrigens nur durch die Helligkeit des Labelaufdruckes. A ist heller als B. Von Hell nach Dunkel habe ich mir als Eselsbrücke gebaut.

KÜNSTLERIN hieß früher L'ARTISTE und wurde damals stimmlich von Annika bereichert. Ich habe das ihrerzeit "großes Kino für die Ohren" genannt. Nun hat Sarah Lesch diesen Part übernommen und steht dem in Nichts nach. Ist einfach n kuuler Song, melancholisch und poetisch. Was mir bei dieser neuen Version noch mehr unter die Haut geht, ist das Ende. "Lass mich allein, lass mich allein...zurück!" Jemanden allein zurücklassen, ist ein so krasses Bild, dass es bei mir tief wirkt. Die Selbstaufgabe, damit wer anders noch wegkommt. So wie Pirr es am Schluss singt, ist es nah dran, dass das Pathos im Kitsch versandet, aber irgendwie haben sie es zusammen hingekriegt, dass es doch nicht passiert. Und da, wo die Sprache ins Französische kippt und fast nur Bass, Schlagzeug und Stimmen zu hören sind, geht sogar ein bisschen die Sonne auf (hinter der Wolke, auf die sich Pirr am Anfang des Albums gesetzt hat). KOMPASSNADEL ist dann wieder so ein Selbstzweifelsong. Viele allgemeine Schlagworte wie "Sinn" und "Sehnucht" in den Einsamkeitstopf gemengt und umgerührt. Erstaunlich, dass dabei kein doofes Lied entstanden ist. Nee, auch das kann ich mir gut anhören, wenngleich ich das Bild von der Kompassnadel, die heiß wird, gar nicht nachvollziehe. Eine Tachonadel könnte heißlaufen, bildlich gesprochen, ja, dann fährt die Karre halt irre schnell, aber eine Kompassnadel? Egal, andere werden es mögen und vielleicht auch verstehen. Überhaupt werden viele dieses Album mögen, ich wage sogar die Behauptung, dass WONACH WIR SUCHEN mit dieser Platte deutlich populärer werden. Betonung auf "deutlich!" In dem Wort "populär" steckt allerdings auch schon die Krux. Es werden auch viele beknackte Leute ihre Songs mögen und lieben, was teilweise daran liegt, dass die Band offenbar nicht sonderlich viel Wert darauf legt, sich politisch zu outen. Kaum in den Songs und wenig im Layout des Albums. Mir hatte es ja gut gefallen, dass zu dem Song WOHIN vor geraumer Zeit ein Video erstellt wurde, das sexualisierte Gewalt gegen Frauen zum Thema hatte. Unter dem Video findest du dann Links zu Beratungsstellen etc. Solche Statements gefallen mir, weil sie konkret das eigene kulturelle Wirken mit dem politischen und sozialen Geschehen "da draußen" verknüpfen. WOHIN ist nun auch auf dem Album. Die Links zu den Beratungsstellen leider nicht. Ich hätte sie auch hier nicht an den Song geheftet, weil sich das ohne Video nicht vermittelt, aber ich hätte mich gefreut, sie wären überhaupt aufgetaucht. Genauso wie z.B. die kurzen Verweise auf KEIN BOCK AUF NAZIS und die RAK, die es zum Glück gibt. Für meinen Geschmack sollte WWS sich öfter und deutlicher auf entsprechende Initiativen oder Gruppen beziehen.

Die letzten drei Songs auf dem Album sind allesamt Hits, die sie schon lange spielen. BITTE BLEIB, SPIELEN und TRAUMBAUMSCHLÖSSER sind gut abgehangene Früchte, die sich live schon oft bewährt haben und funktionieren. Ich habe sie alle schon bei meiner ersten Besprechung vor acht Jahren gelobt und gefeiert. BITTE BLEIB überzeugt aufgrund präziser Minimalistik. In SPIELEN taucht ein neuer Akkord auf, über den ich mich freue, weil er die Routine bricht. Gewohnheit ist so giftig wie ein ganzer Feuerfisch! You know?! Hübsches Schlagzeug übrigens! Tja, und bei TRAUMBAUMSCHLÖSSER fällt mir natürlich auf, dass der Text etwas von seiner Heteronormativität verloren hat. Wer die alte Version kennt und genau hinhört, wird verstehen, was ich meine. Dicker Pluspunkt an dieser Stelle!

Insgesamt eine richtig gute Platte, die Spaß macht und berührt. Kein Punk, aber trotzdem Gitarren, die wissen, was sie wollen. Unfassbar hochwertig produziert und deshalb auch klanglich ein echter Genuss. Warmer Sound und bis auf wenige kleine Ausnahmen auch bei den Lyrics oft mit gutem Handwerk versehen. Wohin die Reise geht, wenn die Band es in den Mainstream schafft, kannst du in den letzten 25 Sekunden von WOHIN hören. Da kommt so dermaßen viel Volumen durch die Backingvocals mit in den Sound hinein, dass ich denke, ich wäre schon in den Charts. Viel Erfolg und Obacht beim Balanceact zwischen Pop- und Subkultur!

Yok / Berlin / 23.6.2020

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