POCKETPUNK

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9/2024

WENN BÜCHER STERBEN

Die Geschichte ist schnell erzählt. Der Autor hatte erst den Job und dann den Faden verloren. Seine Anhaltspunkte verwandelten sich zunehmend in Kommas und Fragezeichen, die ihn dreckig angrinsten, wenn er auf den Bildschirm blickte. Sie waren zu Gegenspieler*innen geworden. Er wurde traurig, denn sie waren mal Kompliz*innen.

Da waren mal Taxigeschichten, ja. Das hatte den Leuten gut gefallen, weil sich der Taxifahrer frech durch das Leben bewegte und weil er die Dinge, die da auf ihn zukamen, gleichermaßen mit Härte und Leichtigkeit zu meistern wusste. So sah es jedenfalls aus.

Nun fuhr er nicht mehr. Er konnte den vermeintlich progressiven Spruch „Arbeit ist scheiße“ noch nie unterschreiben, aber dass sie ihm mal fehlen würde, hatte er auch nicht gedacht. Andere halten es ganz gut aus ohne schlecht bezahlte Lohnarbeit. Er eher nicht. Jetzt machte er Spaziergänge ganz ohne Bezahlung. Wie so viele andere auch. Meistens zu zweit. Die Parks und die Ufer waren voll mit Tandem-Menschen. Die noch wenigen noch lebenden Vögel wunderten sich.

Dann fing der Autor an, andere Geschichten zu schreiben. KEINEN FRIEDEN MIT DER SPRACHE hatte er das genannt und er hatte viel Spaß daran. Er sah es als eine Art innovative Revolution an, aber er war wohl auch eine*r der ganz wenigen, die das witzig und interessant fanden. Die meisten lasen es nämlich nicht, sie waren ja spazieren. Und jetzt, wo so viele Leute plötzlich mehr Zeit hatten,…-… hatten sie keine Zeit mehr, sich mit dem Trash anderer zu beschäftigen. Sie waren vertieft in sich selbst und in die Leere.

Einmal machte der Autor einen Selbstversuch und stellte sich neben das Obstregal in dem Supermarkt, wo der Filialleiter ein Arschloch ist. Immer, wenn ein*e Kund*in vorbeikam und sich Birnen nehmen wollte, sagte er halblaut „Apfel“. Mehr nicht. Er bewegte sich auch nicht. Niemand reagierte auf ihn, niemand fragte, ob vielleicht etwas nicht in Ordnung sei. Der Filialleiter bemerkte ihn nicht. Dann brach er das Experiment nach drei Stunden ab und ging unsichtbar nach Hause. Dort stellte er fest, dass jemand seine Heizkörper gestohlen hatte. Also wärmte er sich erstmal seine Hände über dem Toaster und stellte seine Füße in eine Schüssel mit Bier. Warmes Bier natürlich. Zum Verzehr dann ungeeignet. Er wartete bis sein Nachbar (ein Intensivmediziner) am nächsten Tag zur Arbeit dusselte und ging dann in seine Wohnung um sämtliche Heizkörper abzumontieren. Den Zweitschlüssel hatte er bekommen, weil er hin und wieder die Blumen dort goss und die Katze ärgerte. Als der Intensivmediziner nach der Arbeit beim Autor klingelte und nachfragte, ob er etwas bemerkt hätte, log dieser frech, dass er den ganzen Tag spazieren gewesen sei. Dann lud der Autor den Intensivmediziner zum Bier ein. Er hatte es vorher extra aus der Schüssel wieder in Flaschen gefüllt, verschlossen und gekühlt. Er selbst trank Kasperbrause.

Kurz vorm Schlafengehen murmelte der Autor immer wieder den gleichen Satz vor sich hin:

„Ich bin wirklich kein guter Mensch, aber schön warm ist es hier jetzt wieder!“

In dieser Nacht träumte er von Büchern mit leeren Seiten und von Patient*innen, die keine Köpfe mehr hatten. Sie wurden von Taxen kostenfrei abgeholt und zum Impfen gefahren. Die Bücher starben im Regal.

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