POCKETPUNK

#

März 2024

old punx never die

Stehe am Schlesischen Tor in Kreuzberg an der Taxihalte. Die ist meistens leer, weil dort auch kaum Aufträge reinflattern. Dann kommt aber einer, ein sogenannter "Unverbindlicher". Das sind Auftäge, wo die Leute irgendwo an der Straße stehen, die Zentrale anrufen und ihren Standort mitteilen, weil sie eine eben spontan eine Taxe brauchen. Oft genug winken sie dann aber trotzdem die nächstbeste ran, die vorbeikommt und warten nicht, bis die bestellte Taxe sie abholt. Deshalb unverbindlich. Ich fahre über die Brücke nach Friedrichshain. Mein Fahrgast steht Tamara-Danz-Straße Ecke Wanda-KallenbachStraße. Gute Straßennamen, die erinnern sollen. Tamara Danz war eine der bekanntesten "Rocksstars" der ehemaligen DDR, sang bei Silly und starb schon im Alter von 43 Jahren. Wanda Kallenbach war eine "einfache Hausfrau" und wurde wegen kriegskritischer Äußerungen und "judenfreundlicher" Einstellung im August 1944 von den Nazis hingerichtet. Sie war damals gerade mal 42 Jahre alt. Sie hatte auch öffentlich Hitler und Göring kritisiert.

Ich sehe einen Mann in meinem Alter. Wenig Haare, halblange Camouflage-Hose, bedrucktes Punkrock-Shirt, freundliches Gesicht und einen großen gekauften Bluenstrauß vorm Bauch. Ich muss schmunzeln. Wann siehste schon mal Punx mit Blumensträußen?! Er steigt gut gelaunt ein und freut sich offensichtlich, dass die Bestellung geklappt hat und er will rüber nach Kreuzberg in die Mariannenstraße. Keine Weltreise leider, aber der Typ gefällt mir und Geld macht eh nicht glücklich. Ich spreche ihn direkt auf den Blumenstrauß an. "Manchmal musst du ja mal danke sagen!" schwärmt er. Und da sei eine gute Freundin, die er sehr gern hätte und die schon viele Sachen für ihn gemacht hätte. Jetzt sei mal wieder der Zeitpunkt, wo er was zurückgeben möchte. Das kommt sehr herzlich und null mackrig rüber. Ich mag den jetzt schon. Ich erzähle ihm daraufhin meine "Blumenstraußgeschichte": In der Anfangszeit, in der ich Gu, meine große Liebe kennenlernte, holte ich sie mal vom Bahnhof ab. Sie hatte sich aufgemacht, um mich und meine Eltern, die sie bis dato noch nicht kannte, in Itzehoe zu besuchen. Zu meiner Überraschung trug sie einen großen Blumenstrauß bei sich. Ich musste lachen, als ich das sah. Nicht etwa, weil sich meine Eltern darüber nicht gefreut hätten, sondern weil ich von Gu wusste, dass sie Schnittblumen "hasst" und sie es selbst scheiße fand, welche geschenkt zu bekommen. Ich meine, klaro, wir waren vollautonome antifaschistische Aktivist*innen und hatten mit bürgerlichen Konventionen wirklich gar nichts am Hut. Und dann dieses Bild! Gu wurde unsicher und fragte mich, ob ich das blöd fände. Ich verneinte, aber sie trennte sich dennoch von dem teuer erworbenen Präsent, indem sie es noch im Bahnhof in einen Mülleimer drückte oder daneben legte. Das weiß ich nicht mehr genau. So gingen wir ohne dieses Geschenk zu meinen Eltern. Ich hab das nie vergessen. Mein Fahrgast hört mir aufmerksam zu und fängt an, sich ein bisschen zu rechtfertigen. Ich sage ihm aber direkt, dass ich es großartig fände, dass er Blumen verschenkt als Geste der Anerkennung. Ist doch scheißegal, ob das konservative Leute auch machen würden. Das hier sind jetzt einfach mal Punkrockblumen! Punkt. Es folgt ein sehr nettes Gespräch über den Zustand dieser Welt, die Antifa, den Punk, seine Wege zur Dialyse, dass er nicht mehr säuft und verschiedene gemeinsame Bekannte und Locations. Sehr sehr toll. Gefühlt kennen wir uns seit Jahren, sind uns aber offenbar noch nie begegnet. Erstaunlicherweise. Eine Woche später steigt er mir zufällig woanders wieder in die Taxi und wir "feiern" unser Wiedersehen. Für mich ein besonderes und schönes Erlebnis, weil ich es toll finde, dass es heutzutage kuule alte Leute gibt, die eine ähnliche Sozialisation durchlaufen haben wie ich selbst. Als ich jünger war, gab es keine alten Punx. Die meisten alten Leute hatten einfach mal keine linke, antifaschistische oder subkulturelle Geschichte. Sie waren entweder bürgerlich oder alte Nazis. Oder beides.

nach oben