...der erste Schritt zum Abbau der eigenen Persönlichkeit!
So steht es yedenfalls im booklet dieser knapp 50-minütigen CD. Das ist ein Gedanke, der meinen Kopf bewegt. Und weil es eben aber nur ein Gedanke ist, dauert die Vertonung dieser Überlegung auch nur exakt eine Minute. Eine grandiose Eröffnung, die der Song "Raupe" da liefert. Das "sich Gedanken machen" wird im zweiten Song fortgesetzt: der bettelnde alte Mann vor dem Supermarkt und die damit verbundene eigene Angst vorm Absturz, vor der Armut. Und der unmißverständliche Blick darauf, daß uns das allen blühen kann. "Vergeßt die Angst, ich halte euch einen Platz frei!" wird dann dynamisch und dreckig gesungen am Ende des Liedes und beendet gleichzeitig auch diesen Gedanken. In "Stillstand" riskieren die Musik-Tischler ein paar erste aufmunternde Zeilen: "...yede Mauer geht vorbei..." heißt es da unter anderem. Ich gestehe, daß mir das gut reinläuft, auch wenn ich im gleichen Moment merke, wie gelogen das doch ist. Aber da mir der gleiche Text ya kurz vorher auch mitteilt, daß ich für eben yenen Stillstand schon zu alt bin, geht das alles in Ordnung. Damit wurde ich genau dort abgeholt, wo ich mich befinde, nämlich "in Bewegung", und das darf auch gern politisch gedeutet werden. Und weil in der zweiten Strophe die Musik unterm Text mal etwas gitarrenentschlackt wurde, freuen sich auch die Ohren, daß ihnen die nötige Aufmerksamkeit auf diese Weise abverlangt wird. Im vierten Song (Fluss) wird es dann auch mal deutlich flotter. Die Gitarre liefert eine mitreißende Linie, die zunächst immer da abbricht, wo der Gesang einsetzt...das kommt (immer) gut! Inhaltlich wird mit wenigen Worten das alte Bild "vom Fluss des Lebens" bemüht. Wirkt alles sehr simpel...der Fluss, das Floss, du befindest dich darauf mit anderen Leuten...und es läuft unweigerlich auf das Meer (den Tod) hinaus. Bis dahin "nutze die Zeit" und bestimme sie, indem du (mit)ruderst. "Die Zeit dahin ist deine Zeit! Nutze sie solang du kannst" Diese beiden Zeilen genügen dem Refrain. Kompliment! Mehr braucht der Text auch nicht! Es gibt viele Gruppen, die sich das Thema nehmen und den Kern nicht wirklich beschreiben können. Bei der Tischlerei Lischitzki dauert das genau 3 Minuten und es ist alles gesagt. Als einer, der selbst schon eine ganze Weile Liedtexte schreibt, weiß ich, wie schwierig es ist, die Dinge sauber auf den Punkt zu formulieren und auf das zu reduzieren, worum es geht.Das nächste größere Aufhorchen passiert bei mir beim siebten Titel. "Wandern" heißt der und es ist nicht zu überhören, daß hier wohl eine gewisse Nähe zu Ton Steine Scherben hergestellt werden soll. Sowohl musikalisch aber auch textlich geht es hier schwer in Richtung von "Mein Name ist Mensch" von R.P.S. Lanrue und Rio Reiser von 1971. Da es aber textlich eine etwas andere Stoßrichtung nimmt (musikalisch pflegt die Tischlerei hier die Hörgewohnheiten der 70er), würde ich es als Fortsetzung, Weiterführung oder einfach "Mein Name ist Mensch/ Kapitel 2" bezeichnen. Es ist schlicht das Kapitel, welches erwähnt, daß die Geschichte der Menschheit auch immer verknüpft war mit der Entwicklung von Macht. In meinen Augen ist das eine wunderbare Bezugnahme auf diesen großartigen Klassiker der Scherben. Kommen wir zum "Zauberer", Track 8. Schön schnell das Teil. Da ergibt sich bis hierhin eine gewisse Logik in der Geschwindigkeitsaufteilung dieser CD, nämlich 3x mittleres Tempo, 1x schnelles Tempo, 3x mittleres Tempo, 1x schnelles Tempo. Beim "Zauberer" gefällt mir ya vor allem diese dreckige backing-Stimme, die immer "...er ist ein Zauberer..." singt. Im Wechsel mit der Hauptstimme von Ralf ist das ein hurtiges Gesangs-Intermezzo. Da rockt die Punkrockmaschine an allen Hebeln...auch an Bass, Gitarre und Schlagzeug. Dieser Song muß definitiv auch mal richtig laut gehört werden. Text okay, will ich hier aber gar nicht deuten. Und dieses eben beschriebene Ineinandergreifen der Stimmen ist eh eine große Stärke der Lischitzkis, die sich durch die komplette Musik der CD zieht. Auch die textlichen Doppelungen sind stets sparsam ausgesucht, und verfehlen gerade deshalb ihre Wirkung eigentlich nie. Es folgen drei Tracks, die für mich musikalisch und vor allem textlich keine Volltreffer sind. An dem, was ich yeweils dazu zu sagen hätte, rauschen sie alle vorbei. Die Sache mit dem "Vergessen" in "Erinnerung/aussen" habe ich selbst versucht zu beschreiben und bin aber zu anderen Ergebnissen gekommen. Genug Stoff für ein gutes Gespräch, zu wenig aber, um einen Satz wie "der Fluch der Erinnerung hat uns fest im Griff" laut zu singen...Diesem Lied hätte die ICH-Form sicher besser gestanden als die WIR-Form. Eigentlich wäre dann mit dem Titel 12 wieder ein schneller Song an der Reihe, aber passiert nicht wirklich. Sehr hübsch aber stattdessen hier die Doppeldeutigkeit von "Scheiss-Li(e)der"...Das ist mal was zum Mitgröhlen für'n live-Konzert. "Wissen sie es" ist dann ein Stück zum Thema Sicherheit und Kontrolle. Der gefällt mir wieder ausgesprochen gut. Auch hier ein kleiner Gruß an die guten alten Scherben (mensch meier!). Sehr schick, wenn hinter dem Text, der sich rund um den Moment der Überwachung dreht ein paar "HEY-Rufe" auftauchen, die in ihrem Ausdruck stark an eine spontane laute Aufregung erinnern, die beispielsweise aufkommt, wenn dich yemand blöd anrempelt..."Hey, was soll der Scheiss??!" ist eigentlich gemeint und hier braucht es aber nur das "HEY!" um diese Stimmung einzustreuen. Das ist sehr gut gelungen! Die angepisste genervte Hauptstimme bildet auch hier einen idealen Kontrast dazu. Und daß das Ganze mit "Wahrheit kommt...............Wahrheit kommt von wahriabel" endet, ist ein schlauer Griff. Sowas muß dir erstmal einfallen, ansonsten landest du bei einer abgedroschenen Phrase wie "Wahrheit ist relativ" oder "Wahrheit ist ein dehnbarer Begriff". Ein guter Song braucht aber eine eigene Formulierung. Es folgt ein weiterer "schlauer Song", der sich "Mehr Waffen" nennt und nochmal den Titel der CD aufgreift. Wir erinnern uns: Kommunikation ist....Hier heisst es aber "...denn reden bringt nichts, schwafeln hilft nicht, worte können nichts..." Klare Ansage also, daß dort, wo Waffen "sprechen" alles zu spät ist und damit wird auch klar, daß sich nicht darauf zurückgezogen wird, am Anfang einen etwas kryptischen Gedanken provokant in die Runde zu werfen. Auch im nächsten Song, in dem der Chris am Schlagzeug Höchstleistungssport betreibt, wird noch Wut über die Zustände rausgebrüllt. Hier, wie auch im Song davor, fühle ich mich vom style her erinnert an alte "Abwärts-Sachen". Ich mag alte Abwärts-Sachen! Ich mag auch Sätze wie:"...es gibt soviel Hunger und deshalb gibt es Krieg..." Ich finde es manchmal legitim, daß auf so eine einfache Formel herunterzubrechen. Da steckt verdammt nochmal auch viel Wahrheit drin...und die ist ya bekanntlich "wahriabel"...haben wir ya schon gelernt. So, dann sind wir auch schon beim letzten Track angekommen. "Wer hat an der Uhr gedreht" schließt diese CD würdig ab. Ein ganz entspannter, aber wütender midtempo-Song, der nochmal das eigene "Sein" ins Verhältnis setzt zu dem, was wir kritisieren..."ich muß dabei zusehen..."
Alles in allem eine richtig gute Punkrockplatte, auf der Ralf, Andreas, Michael und Chris einen kompakten eigenen sound abliefern, der die Texte nie verdeckt oder gar abschmieren läßt. Und überhaupt, die Texte: es ist nix dabei, was ich doof finde oder was mich nervt, im Gegenteil. Auch das artwork, das booklet, die Gestaltung etc unterstützen genau das, was zu der Musik passt. Eine gewisse Schlichtheit, die ihre Details aber stets aufblitzen läßt und sich aber nicht wichtiger gibt, als sie ist. Solides Handwerk!