Das mittlerweile vierte Album von Strom & Wasser seit 2003. Das klingt nach viel Kontinuität und Kreativität und so ist es wohl auch. Ein paar Dinge, wie beispielsweise das layout (wie immer von Reinhard Kleist in gekonnter „farbengeiler“ Comicform) sind auf den ersten Blick alte Bekannte. Auch die Handschrift von Heinz Ratz ist beim ersten Hinhören wieder deutlich zu erkennen. Die Band dahinter ist hingegen neu zusammengesetzt. Das Konzept bei Strom & Wasser diesbezüglich scheint relativ offen. So finden live-Konzerte in wechselnden Besetzungen statt, auch mal nur zu zweit oder zu dritt. Der wegweisende Kopf und Bauch ist dabei immer Heinz Ratz, der nahezu fast alle Texte schreibt, sie auch selbst singt und den Bass dazu spielt. Heinz hat einen riesen output, auch auf dieser CD sind wieder 17 Tracks (2 gesprochene Intros + 15 Songs) zu finden und keineswegs einfache ein bis zwei Minuten-Songs. Nein, die beteiligten Musiker_innen haben sich da in fast yedem Song recht fantasievoll ausgetobt. Das geht oft auf Kosten der musikalischen Eingängigkeit. Nix für die Charts also.
Inhaltlich steckt einiges drin. Heinz singt immer schon und gerne für das Bunte, für die Vielfalt, äußert sich sehr klar gegen die Verknöchertheit, gegen die (extreme) Rechte und einmal mehr gegen Militarismus. Bei letzterem kommt sein bitterböser Zynismus besonders gut zur Geltung: „…sie (Soldaten) sterben gerne für billig Öl und Großkonzerne. Sie bluten pflichtbewusst…“ Das mag hier aus dem Kontext gerissen eher platt klingen, aber eingebettet in den sonstigen (schwarzhumorigen) Text im Rahmen der CD ist das ein gerngehörtes statement in einer Zeit, wo kein Tag vergeht, an dem öffentlich gerechtfertigt wird, dass auch die deutsche Bundeswehr überall in der Welt wieder ihre Nasen und Waffen in die bestehenden Konflikte reinstecken soll und darf.
Heinz hat einen Song geschrieben, der „Lied von der schlafenden Armut“ heißt. Für mich eines der highlights auf der Platte, weil es ein Szenario beschreibt, wo diese Armut ein Gesicht bekommt und aufbegehrt. Und er beschreibt treffend: „….Es (das Unrecht) lächelt in Güte, wenn es zertritt. Es spricht von der Freiheit hinter den Mauern. Und von dem leider notwendigen Schritt. Das Unrecht kann sehr überzeugend bedauern….“ Die Antwort darauf, ist gleichzeitig ein Wunsch: „…Auch die schlafende Armut, auch die Armut hat Kraft!“ Einziger Kritikpunkt bei diesem Song, ist, dass mir eben dieses Wort „Kraft“ im gesungenen Ausdruck eine Nuance zu martialisch daherkommt, so dass mir dummerweise sofort Assoziationen wie „Rammstein“ dazu einfallen…aber andererseits drückt genau auch diese Martialität die Wut des Stückes gut aus. Eine streitbare Stelle also, aber das bin ich bei CDs von Strom und Wasser ya auch gewohnt. Mit Heinz streite ich ya gerne und er hält das zum Glück auch aus. Nur seinem dicken Fell ist es zu verdanken, dass wir seit ein paar Yahren überhaupt einen lockeren Kontakt pflegen, denn er hat gleich zu Beginn unseres Kennenlernes eine heftige Breitseite zur ersten Strom & Wasser – CD bekommen, die bestimmt nicht ganz leicht wegzustecken war.
Bleiben wir aber bei „farbengeil“. Hatte mich gerade vertippt und dann stand da „Farbeigeil“…auch nicht schlecht. Der CD-Titel ist gewissermaßen Programm und ist vielleicht nur zu verstehen, wenn mensch Songs wie „Rote Milanin“, „Leichtes Lied“ und den „Aschemann“ in ihrer Tiefe versteht. Da ist von Leben und Tod die Rede. Da singt einer, der weiß, wovon er singt. Das hat der erlebt und das ist zu spüren. Es ist ein so klares und dennoch so schwermütiges Bekenntnis dazu, intensiv und bewusst leben zu wollen, die geilen Farben sehen zu wollen, für Sanftheit und Zärtlichkeit zu kämpfen…gegen das Harte, wie es auf der Vorgänger-CD schon anklang. In diesen oben benannten 3 Songs steckt ganz offenbar viel persönliche Emotion drin, da geht es ganz weit nach drinnen, auch nach unten, aber immer auch mit dem Blick Richtung Licht und Sonne. Vom „schweren Leid“ zum „leichten Lied“ sind es zwar einerseits nur ein paar verdrehte Buchstaben, aber andererseits ist es sicher ein längerer Weg, der eine Weile brauchte, um sich ihn in diese Form und in diese Erkenntnis zu formulieren. Im Originaltext liest sich das beispielsweise so: „…Alle Mühen vergebens. Aller Anspruch versiegt. O Rätsel des Lebens, auch der Stürzende fliegt…“ An anderer Stelle heißt es, dass „alle Vorsicht feige sei“, worüber ich ya schon wieder diskutieren wollen würde, mag aber auch hier gar nicht angebracht sein, weil der Kontext die Interpretation dieser Formulierung schon einengt. „Leichtes Lied“ ist für mich ein weiterer favorite auf dieser CD.
Dann ist da plötzlich ein Lied wie „Träumerchen“, welches mich sehr berührt hat…musikalisch eher schwierig vertrackt, besonders in den parts neben dem Text, wie ich finde, aber textlich toll. Es geht um ein Kind mit handycap und darum, dass alles Leben seine Besonderheiten hat, alles Leben Sinn und Bedeutung hat. Heinz beschreibt sensibel die Situation um das Kind, die Blicke anderer Menschen, ohne zu voyeuristisch ins Detail zu gehen. Heinz setzt ein Zeichen für „besondere Liebenswürdigkeit“. Das Wort „Mitleid“ taucht nicht auf, sicher kein Zufall und ein sehr guter Griff, wie ich finde.
Bei all der Auseinandersetzung mit dem Leben, bei all den malerischen Bekenntnissen für das Bunte, die in verschiedenen Facetten immer wieder in den Songs auftauchen, gibt es aber auch auch klare Worte gegen Blitzbirnen wie „Bushido“. In dem Song „Das Märchen von Dr. Calamachi“ wird klar Stellung bezogen gegen diese Art von homophobem und sexistischem Rap. Der Berliner Rapper wurde sogar öffentlich von der BRAVO supportet. Da freut es, dass mit diesem Song klar gesagt wird, dass auch so’ne Art von Kultur leider reichlich Auswirkungen auf das Verhalten etlicher yunger Menschen hat und es impliziert, dass wir uns klar dagegen stellen müssen.
Die Eröffnung der CD übernimmt ein wunderbar trashiger Song, indem Maria Schneider im Duett mit Heinz singt und wütet. Der Dialog zwischen Teufel und Engel in der ersten Klasse kommt extrem rock’n’rollig und crazy daher. Ein guter Auftakt.
Den Schluß findet die CD mit „dem ganz großen Wort“, welches sich da als die vielbesungene Zeile „ICH LIEBE DICH“ herausstellt. Das klingt vielleicht banal, aber zumindest mir ist dieses verletzliche Gefühlsbekenntnis ya tausendmal lieber, als dieses unsägliche Lied „Der Arsch meiner Freundin“ von der vorletzten Platte, welches ebenso aus der Feder von Heinz stammt.
Beende ich also diese CD-Besprechung mit Zeilen aus dem Song „das kleine Chaos“, der musikalisch deshalb großartig ist, weil das besungene Chaos auch musikalisch durchaus auftaucht und sich mit bequemeren hörbareren Passagen abwechselt. Hier heißt es:
„Laß doch das kleine Chaos herein. Es ist wild und bunt. Laß doch die Stürme stürmisch sein. Man segelt am Besten mit einem NA UND“
Eine launige CD, die ihren Schwermut nie ganz ablegt und die allen empfohlen ist, die zuhören können und sich von experimentellen und ungewöhnlichen sounds nicht abschrecken lassen.
Yok
November 2007-11-07